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Schlaganfalle Fachbücher

Schlaganfall in Zeiten von SARS-CoV-2


Der bundesweite „Tag gegen den Schlaganfall“ am 10. Mai findet in diesem Jahr ohne entsprechende Informationsveranstaltungen für die Öffentlichkeit statt. Dabei ist die umfassende Information der Bevölkerung gerade jetzt besonders wichtig. Denn die Pandemie hat auch Einfluss auf Schlaganfall-Patienten.

Weniger Schlaganfall-Patienten in den Kliniken

Jedes Jahr erleiden bundesweit rund 270.000 Menschen einen Schlaganfall. Er ist in Deutschland die dritthäufigste Todesursache und Hauptgrund für Behinderungen im Erwachsenenalter. Doch seit Beginn der Pandemie verzeichnen viele Kliniken 20 bis 30 Prozent weniger Patienten mit Schlaganfall-Symptomen. Bei den betroffenen Personen scheint Verunsicherung zu herrschen, ob sie in der aktuellen Situation eine Klinik aufsuchen sollten. Da die Mehrzahl dieser Patienten zur COVID-19-Risikogruppe gehört, kommt vielfach Angst vor Ansteckung hinzu.

Neurologen befürchten, dass deswegen vor allem Menschen mit vorübergehenden Symptomen den Weg in die Klinik scheuen. Aber auch bei der sogenannten transitorischen ischämischen Attacke (TIA) besteht akuter Behandlungsbedarf, da sie der Vorbote eines starken Schlaganfalls sein kann.

Daher ist Aufklärung gerade jetzt nötiger denn je. Patienten müssen wissen:

  • Der FAST-Test hilft, mögliche Schlaganfallsymptome zu erkennen.
  • Bei Symptomen ist unmittelbar der Notruf 112 zu kontaktieren oder die Notaufnahme einer Klinik aufzusuchen.
  • Die Versorgung von Patienten mit Akut- und Notfallerkrankungen ist trotz der Pandemie sichergestellt. Die Behandlung von COVID-19-Patienten erfolgt auf getrennten Stationen.
  • Jeder, der regelmäßig Medikamente nimmt, sollte einen Notfallausweis mit sich führen, in dem seine vollständige Medikation verzeichnet ist. Dies hilft Ärzten im Notfall bei der Behandlung.

Apps für Schlaganfallpatienten

Apps können zwar keinen Arzt- oder Therapeutenbesuch ersetzen, aber Patienten unterstützen – besonders in Pandemiezeiten. Dazu ist das „Gesetz für eine bessere Versorgung durch Digitalisierung und Innovation“ (Digitale-Versorgung-Gesetz – DVG) gerade rechtzeitig am 19. Dezember 2019 in Kraft getreten. Es ermöglicht Ärzten unter anderem, bestimmte Gesundheits-Apps zu verordnen.

Verschreibungsfähige Apps müssen speziell zugelassen sein. Laut Bundesgesundheitsministerium soll bis Ende des Jahres ein elektronisches Verzeichnis der erstattungsfähigen Anwendungen vorliegen. Aber auch unter den bereits verfügbaren kostenfreien Apps eignen sich einige für Schlaganfallpatienten:

  • FAST Schlaganfallerkennung
    Mit der kostenlosen App der Deutschen Schlaganfallhilfe können Laien im Notfall einen Schlaganfall-Verdacht prüfen und direkt den Notruf 112 auslösen. Die App ist dreisprachig (deutsch, englisch, türkisch) und mit einer Audiofunktion ausgestattet, in der die Fragen vorgelesen werden. Sie ist im Apple Store und im Google Play Store erhältlich.
  • Strokemark Schlaganfall-Trainingsprogramm
    Das 3-monatige Trainingsprogramm basiert auf wissenschaftlichen Erkenntnissen. Patienten sollen damit auch noch auch Jahre nach einem Schlaganfall spürbare Fortschritte erzielen können. In der aktuellen Phase ist die Teilnahme am Programm kostenlos.
  • My Therapy – Medikamenten-Erinnerungsprogramm
    Die App erinnert an die Einnahme von Medikamenten. Über einen Medikamenten-Manager lassen sich die bereits genommenen Medikamente abhaken und übersichtlich im Blick behalten. Auch an die Messung von Blutzucker oder Blutdruck erinnert die App. TÜV-zertifiziert und mit Ärzten entwickelt.

Um den Vergleich von Apps in der Gesundheitsversorgung zu erleichtern, hat die Bertelsmann Stiftung gemeinsam mit Fraunhofer FOKUS entsprechende Gütekriterien zusammengestellt. Anbieter können diese als Grundlage für Selbstangaben nutzen, so dass Patienten und Ärzte sich anhand standardisierter Qualitätskriterien über die unterschiedlichen Apps informieren können. Im nächsten Schritt dieses vom Bundesgesundheitsministerium geförderten Projekts wird zusammen mit der Weissen Liste daran gearbeitet, diese Angaben über die Apps auch online bereitzustellen.

SARS-CoV-2 als möglicher Auslöser neurologischer Symptome

Nach einer aktuellen Auswertung aus Wuhan [1] sind neurologische Manifestationen bei hospitalisierten Covid-19-Patienten durchaus häufig.  Von den 214 Patienten wiesen 36,4% neurologische Symptome auf. Bei Patienten mit schweren respiratorischen Verläufen betrug die Rate sogar 45,5% (40 von 88 Patienten mit schwerem Verlauf wiesen neurologische Symptome auf). Zudem kam es in dieser Gruppe auch zu schwereren neurologischen Manifestationen: Fünf Patienten erlitten einen Schlaganfall (davon vier ischämische und ein hämorrhagischer), bei 13 weiteren waren Bewusstseinsstörungen dokumentiert worden und bei einem ein Krampfanfall.

Neuronaler Infektionsweg und auffällige Laborparameter

Die Autoren der Studie erklären die neurologische Begleit-Symptomatik damit, dass SARS-CoV-2 in das zentrale Nervensystem (ZNS) bzw. in das Gehirn eindringen können, insbesondere in den Hirnstamm, wie Ende Februar eine Publikation nahelegte [2]. Tierexperimentell konnte der neurale Infektionsweg nachgewiesen werden, er verläuft von der Nasenschleimhaut über sogenannte freie Nervenendigungen bis zum Gehirn. Das würde auch erklären, warum so viele Covid-19-Patienten während der Erkrankung ihren Geruchs- und Geschmackssinn verlieren. Dies wird in einer aktuellen europäischen Studie mit 85,6% und 88% beziffert [3].

In der Studie aus Wuhan fällt auf, dass Patienten mit neurologischen Symptomen eine geringere Lymphozytenzahl aufwiesen, was auf eine herabgesetzte Immunabwehr hindeutet. Außerdem hatten sie niedrigere Thrombozytenzahlen und höhere Blut-Harnstoff-Stickstoff-Spiegel (BUN). Bei den Patienten mit schweren respiratorischen Verläufen waren insgesamt auch höhere D-Dimer-Spiegel festzustellen.

„D-Dimere steigen bei einer Sepsis an, können aber auch auf eine Aktivierung des Gerinnungssystems hinweisen, wie sie auch bei anderen schweren Virusinfektionen bekannt sind. SARS-CoV-2 könnte so Schlaganfälle begünstigen“, erklärt Professor Dr. Götz Thomalla, Sprecher der Kommission Zerebrovaskuläre Erkrankungen in der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN). „Interessant ist, dass bei Myopathien im Rahmen der SARS-Infektion histologisch eine Vaskulitis nachgewiesen wurde. Bei der hohen Affinität auch des aktuellen Erregers zum AT 2-Rezeptor erscheint damit eine Vaskulitis als Schlaganfallursache denkbar“, ergänzt Professor Peter Berlit, DGN-Generalsekretär.

Besonders multimorbide Patienten betroffen

Die erhöhte Schlaganfallrate bei Patienten mit schweren Covid-19-Erkrankungen ist auch Gegenstand des begleitenden Editorials in JAMA Neurology [4]. Die Editoren heben hervor, dass es vor allem multimorbide Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren wie Bluthochdruck sind, die schwer an Covid-19 erkranken. Die höhere Schlaganfallrate könnte somit einem Selektionsbias geschuldet und keine direkte Infektionsfolge sein. Dazu Berit: „Ob ein Schlaganfall nun direkte Folge der schweren SARS-CoV-2 Infektion oder Resultat der Tatsache ist, dass Patienten mit schweren Covid-19-Verläufen gleichzeitig auch zerebrovaskuläre Risikopatienten sind, ist eine wichtige Forschungsfrage, der wir gezielt nachgehen müssen. Wichtig ist aktuell aber, dass Schlaganfälle auch bei beatmeten Patienten rechtzeitig erkannt und behandelt werden.“

Empfohlene Fachliteratur

Facultas
2020
12,60 €

MWV
2020
79,95 €*

Springer
2017
49,99 €

Quellen und Literatur:

[1] Mao L, Jin H, Wang M et al. Neurologic Manifestations of Hospitalized Patients With Coronavirus Disease 2019 in Wuhan, China. JAMA Neurol. Published online April 10, 2020. doi:10.1001/jamaneurol.2020.1127

[2] Li YC, Bai WZ, Hashikawa T. The neuroinvasive potential of SARS-CoV2 may play a role in the respiratory failure of COVID-19 patients. J Med Virol 2020 Feb 27. doi: 10.1002/jmv.25728. [Epub ahead of print] DOI: https://doi.org/10.1007/s00405-020-05965-1

[3] Lechien JR, Chiesa-Estomba CM, Saussez S et al. Olfactory and gustatory dysfunctions as a clinical presentation of mild-to-moderate forms of the coronavirus disease (COVID-19): a multicenter European study. European Archives of Oto-Rhino-Laryngology (2020). Published: 06 April 2020.

[4] Pleasure SJ, Green AJ, Josephson SA. The Spectrum of Neurologic Disease in the Severe Acute Respiratory Syndrome Coronavirus 2 Pandemic Infection: Neurologists Move to the Frontlines. JAMA Neurol. 2020 Apr 10. doi: 10.1001/jamaneurol.2020.1065

 


Elke Paxmann

Ist für den Fachbuch-Blog aktiv mit den Akteuren im Gespräch. Sie befragt Autoren, Verleger und Leser nach Hintergründen und kaufentscheidenden Argumenten. Im Austausch mit direkten Beteiligten findet sie die relevanten Alleinstellungsmerkmale eines Titels für Sie heraus, um Ihnen die Entscheidung zu erleichtern.


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