Krebs ist immer noch die zweithäufigste Todesursache in Deutschland. Jährlich erkranken knapp eine halbe Million Menschen daran. Aber es gibt neue vielversprechende Krebstherapien, über die Frau Dr. Birgit Hiller vom Krebsinformationsdienst (KID) des Deutschen Krebsforschungszentrums im Interview berichtet. Zudem weist sie auf den umfangreichen Service des krebsinformationdienst.med für Mediziner und andere Berufsgruppen in der Onkologie hin.
Frau Dr. Hiller, welche neuen Krebstherapien sind besonders erfolgversprechend?
Es gibt zahlreiche aussichtsreiche Ansätze.
Bei zielgerichteten Therapien, auch Targeted Therapies genannt, setzen die Wirkstoffe an Vorgängen auf Zellebene an, die eine zentrale Rolle beim Tumorwachstum spielen – mit dem Ziel, dieses gezielt zu hemmen. Sie können bei bestimmten Krebsarten das Fortschreiten der Erkrankung aufhalten und Beschwerden lindern. Zielgerichte Therapien kommen überwiegend bei bereits metastasierten Tumoren zum Einsatz. Mit einer Ausnahme: Der Antikörper gegen den Her2-Wachstumsrezeptor wird bei Brustkrebspatientinnen mit der Hochrisiko-Rezeptorvariante adjuvant eingesetzt, um das Rückfallrisiko zu senken.
Die neuen Immuntherapien sind zwar nicht für jeden Krebspatienten geeignet. Aber bei ausgewählten Tumorarten können sie das Leben mancher Patienten in fortgeschrittenen Stadien deutlich verlängern. Sie sollen dem Körper gezielt helfen, Krebszellen zu erkennen und anzugreifen. Dabei werden geeignete Strukturen auf Tumor- oder Immunzellen als „Angriffspunkt“ der Therapie ausgewählt. Bereits zur Verfügung stehen die Immun-Checkpoint-Hemmer und die CAR-T-Zell-Therapie. Weitere immunologische Strategien werden noch in klinischen Studien geprüft.
Auch die Virotherapie zeigt erste positive Ergebnisse, wenn auch noch im experimentellen Stadium. Bei ihr werden onkolytische oder onkotrope Viren genutzt, die Krebszellen gezielt befallen und zu ihrer Tötung führen sollen – entweder direkt selbst oder durch das aktivierte Immunsystem.
Zudem werden selbst klassische Therapieformen kontinuierlich weiterentwickelt. So ist die computergestützte Bestrahlung heute wesentlich zielgenauer und schonender als die frühere Therapie. Gleichzeitig erforschen Strahlenbiologen, welche Tumorzellen durch welche Bestrahlungsart besonders effizient bekämpft werden können.
Gibt es für die von Ihnen genannten Medikamente und Verfahren bereits Kassenzulassungen?
Es wird zurzeit fast jeden Monat eine neue Therapie zugelassen, oder es erfolgt eine Zulassungserweiterung auf EU-Ebene. Danach übernehmen in Deutschland die gesetzlichen Kassen zunächst für ein Jahr die Kosten für ein neues Medikament. In dieser Zeit muss die sogenannte frühe Nutzenbewertung erfolgen, wie es das Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes (AMNOG) vorsieht. Während dieser Zeit wird anhand der Herstellerdossiers der patientenrelevante Nutzen geprüft, also ob das neue Medikament besser ist als bisherige Therapien, beispielsweise weil es die Überlebensrate der Patienten erhöht, ihre Lebensqualität verbessert oder weil es weniger aufwändig ist. Erst dann erfolgt die eigentliche Preisregelung, die für gesetzlich Versicherte relevant ist.
Viele neue Krebstherapien werden in Deutschland also schon für die Patientenversorgung genutzt?
Ja. Der Transfer aus der Wissenschaft in die Praxis hat sich beschleunigt, neue Verfahren und Medikamente kommen schneller in der Therapie an. Sie werden im niedergelassenen Bereich in onkologischen Schwerpunktpraxen und ambulant wie stationär in den auf Onkologie spezialisierten Krankenhäusern eingesetzt. Häufig sind diese neuen Krebstherapien aber nur ein Teil der Behandlungsstrategie. Daher sind heute interdisziplinäre Teams wichtig, um einen Überblick über die gesamten onkologischen Therapiemöglichkeiten zu erhalten.
Welche Unterstützung erhalten Fachleute durch Ihren krebsinformationsdienst.med?
Wir bieten auf vielfältige Weise Hintergrundwissen, individuelle Recherchen und Informationsmaterial:
- Fachwissen durch Beratung am Telefon oder per E-Mail sowie die Vermittlung von Ansprechpartnern, z. B. für klinische Studien, von Referenzzentren oder niedergelassenen Psychoonkologen
- tagesaktuelle Recherchen zu neuen Entwicklungen in der Onkologie, auf Wunsch mit entsprechender Literaturliste
- Hintergrundinformationen zu häufigen Patientenfragen, z. B. nach komplementären oder alternativen Methoden
- Newsletter und Online-Nachrichten für Fachleute sowie kostenlose Informationsmaterialien zum Auslegen für Patienten und Angehörige
Sämtliche Informationen sind evidenzbasiert und auf Wunsch individualisiert – also genau abgestimmt auf den jeweiligen Patienten.
Das Angebot ist für alle, die mit Krebspatienten arbeiten und dadurch – möglicherweise als vertraute Ansprechpartner der Erkrankten – mit onkologischen Fragestellungen konfrontiert werden: Mediziner und andere Berufsgruppen, wie Pflegekräfte, Psychoonkologen, Apotheker und Therapeuten.
Im zweiten Teil des Interviews berichtet Frau Dr. Hiller über das neue KID-Fachbuch, Informationen im Zusammenhang von Krebs und Corona sowie Inzidenz, Prävention und Früherkennung von Krebs.
Dr. sc. hum. Birgit Hiller arbeitet seit 30 Jahren beim Krebsinformationsdienst (KID) des Deutschen Krebsforschungszentrums. Heute verantwortet sie dort den Bereich „Strategische Initiativen“.
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Bildquellen: Birgit Hiller© Krebsinformationsdienst, Deutsches Krebsforschungszentrum
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